Ora et labora - Zur Spiritualität der Mönche im Kloster Marienberg, der höchstgelegenen Benediktinerabtei Europas.
Pater Pius, Gastpater des Klosters, mit 77 fit, hell und pünktlich, führt mich über renovierte Treppen und unter sanften Gewölben in ein Sprechzimmer, neu, karg und dennoch gemütlich. Wir sehen uns das erste Mal, sind gleich auf Du und Du, begegnen uns aus verschiedenen Welten und Zeiten. Ich, einiges jünger, komme von „draußen“ zu ihm „drinnen“.
Die Bekanntschaft mit dem Kloster Marienberg und den Benediktinern habe er dem Frühmesser von Villanders, Pfarrer Josef Schguanin, zu verdanken, sagt Pater Pius. Er sei es gewesen, der ihn nach Marienberg zur Schule geschickt habe. Mit 17 Jahren habe er dann das Noviziat angetreten: „Ein Mönch zu werden ist eine Entscheidung für die Freiheit, sich im Zeichen der Güte, der Achtsamkeit und des Mitgefühls in den Dienst des Nächsten zu stellen. Gerade für mich als Gastpater bedeutet das, mich auch den vielfältigen Welten zu stellen, welche die Gäste des Klosters von „draußen“ hereinbringen, mich mit ihnen auseinander zusetzen, mich an ihnen zu reiben, an ihnen zu wachsen. Auch ich bin immer ein Suchender und ein Ringender.“ Im Kloster und im angrenzenden Abt-Hermann-Haus treffen sich die verschiedensten Leute, darunter Ärzte, Architekten, Spitzenmanager, Anwälte. Jung und Alt drücken sich hier die Klinke in die Hand.
Das Angebot „Kloster auf Zeit“ ist dem männlichen Gast vorbehalten. Er lebt mit den Mönchen mit, betet, arbeitet, isst mit ihnen, tauscht sich mit ihnen aus. In den Schauräumen, Gästezimmern, Seminar- und Gesprächsräumen des Abt-Hermann-Hauses hingegen und bei der gemeinsamen Eucharistie in der neuen Kreuzkapelle suchen Frauen wie Männer Abstand von der Rastlosigkeit des Alltags, von Vergleich, Perfektionismus, vom reinen Funktionieren und von verzweckter Zeit. Sie kommen, um Ruhe zu finden und sich selbst. „Das braucht Weile“, sagt Pater Pius, „nicht Tage, sondern Wochen, wenigstens zwei. Dann kann die Kraft der Stille greifen und es wird sich zeigen, was sie aus dir macht. Vielleicht freust du dich dann darüber, dass du einfach nur du bist, jemand, der stark ist und auch schwach sein darf, sich entfaltet und sein Wesen zulässt. Manchmal spüre ich, dass ich helfen kann, ‚seelische Wunden‘ zu heilen, indem diese im geschützten Gespräch einfach nur ausgesprochen werden.“
Ein Gast wird mir später auf der Treppe begegnen: „Ich komme schon seit 31 Jahren nach Marienberg. Hier entspanne ich. Hierher ziehe ich mich regelmäßig zurück. Hier wird aus meinem ‚Nichts-Tun‘ mehr als ‚Nichts- Tun‘. Hier erfahre ich den Reichtum der christlichen Tradition, finde Sinn. Das Leben im Kloster ist mir spiritueller Quell. Ich brauche dazu auch das Gespräch mit dem Gastpater. Er kann zuhören, wertet nicht, lässt die Dinge sein, wie sie sind. Das tut gut. Er ist ein echter Seelsorger.“
„Ora et labora!“ lautet die Regel der Benediktiner, „Bete und arbeite!“ Diese Regel ordnet den Tag der Mönche. Pater Pius: „Der Tagesablauf zwischen ‚Beten, Arbeiten und Lesung‘ ist für mich wichtig. In der Heiligen Schrift steht auch: ‚Betet alle Zeit!‘ Ich brauche die geregelte Gebetszeit, damit auch alles andere zum Gebet werden kann und wird: der Dienst am Gast, die Arbeit im Garten, im eigenen Weinberg, bei den Maschinen, in der Bibliothek, im Museum des Klosters, wo und wann immer. Alles, was ich tue, auch alles, was geschieht, alles Suchen, alles Ringen, auch das Aushalten oder Erleiden von etwas, alles wird so zum Gottesdienst. Ich brauche das ‚Ora!‘, damit auch das ‚Labora!‘ zum Gebet wird – auch die Unterhaltung, auch das Kartenspiel. Es wird heute zu viel das Gegensätzliche betont. Unterschiede werden gegeneinander ausgespielt. Gott will das Miteinander, die Vielfalt, das Leben und das Mitgefühl. Du wirst ein glücklicher Mensch, indem du andere Menschen glücklich machst.“
Ich gehe wieder nach „draußen“. Reicher als vorher, ruhig, gelassen und vor allem dankbar.